Die Entstehung des Bewusstseins ist ein Rätsel, an dem bisher alle gescheitert sind – von den Alten Griechen bis zu den aktuellen Hirnforschern. Axel Stöcker, der dazu schon einige Wissenschaftler und Philosophen auf seinem YouTube-Kanal Zoomposium interviewt hat, führt anhand seines Romans “Balduins Welträtsel” durch dieses faszinierende Thema, das fast so mysteriös ist, wie die Liebe seines Protagonisten zu einer faszinierenden Journalistin.
Protokoll
Der Autor und Wissenschaftler Axel Stöcker ist zu Gast, um seinen neuen Roman „Balduins Welträtsel“ vorzustellen. Moderiert wird die Lesung durch Frau Dr. Procopan.
Es ist 18 Uhr, am 08. Oktober und der Raum im Neubau des Alexander v. Humboldt Gymnasiums ist bereits bis in die hinteren Reihen belegt. Neben rund 40 Schülerinnen und Schülern, sind auch einige ältere Herrschaften anwesend und warten gespannt auf den Start der Lesung. Nachdem im Raum stille eingekehrt ist, kann es endlich losgehen. Frau Procopan begrüßt alle herzlich und stellt im Anschluss den Gast vor.
Axel Stöcker studierte Mathematik und Chemie. Bekannt ist er durch den YouTube-Kanal „Zoomposium“, auf dem er zusammen mit Dirk Boucsein namhafte Philosophen und Wissenschaftler wie z.B. Wolf Singer und Gerhard Roth interviewt, sowie durch seinen Blog „Die großen Fragen“, der schon mehrfach für den Wissenschaftsblog des Jahres nominiert war. Seine Gedanken über die Entstehung des menschlichen Bewusstseins, einem thematischen Schwerpunkt des Blogs, hat der „Skeptiker mit Hang zur Romantik“ nun in dem Roman Balduins Welträtsel verarbeitet:
Balduin Schönwald arbeitet als Neurowissenschaftler an einem renommierten Institut und versucht, eines der letzten Welträtsel zu lösen: die Natur des menschlichen Bewusstseins. Bei einem Experiment während einer Gehirnoperation macht sein Team eine spektakuläre Entdeckung. Haben sie die Seele aufgespürt? Balduins Überzeugungen geraten ins Wanken, doch als die Journalistin Sara Almeida am Institut auftaucht und sich für das Experiment interessiert, erkennt er, dass es noch größere Rätsel gibt.
Frau Procopan möchte wissen, wie Herr Stöcker dazu kam, als Wissenschaftler einen Roman zu schreiben. Er unterscheidet dabei zwischen Ursache und Auslöser. Im Verfassen seiner wissenschaftlichen Essays habe er immer wieder neidisch auf das literarische Schreiben geblickt. Die Freiheit in Sprache und Figur habe ihn dabei sehr gereizt. Als er sich immer mehr mit der Frage des Bewusstseins beschäftigte, bildete sich parallel in seinem Kopf eine Liebesgeschichte und er brachte sie zu Papier. Frau Procopan merkt an, dass genau diese Parallele, Wissenschaft und Liebe, eine große Stärke des Romans ausmache. Herr Stöcker sieht das auch so und möchte noch genauer darauf eingehen, warum genau hier zwischen Wissenschaft und Liebe eine Spannung erkennbar wird. Als Menschen mit unglaublicher Neugier haben wir einen inneren Drang zur Erkenntnis und zur Dekonstruktion, doch irgendwann führt genau dieser Erkenntniswahn zu einer „Entzauberung der Welt“. Was, wenn wir eines Tages das Geheimnis der Liebe endgültig lüften? Das Mysterium, welches sie umgibt, macht ihren zauberhaften Charakter aus, aber vielleicht sind es doch nur Hirnströmungen. Auf dieses Thema wird Herr Stöcker noch einmal zurückkommen.
„Welche Fragen stehen denn nun noch offen im Bereich der Neurologie?“, möchte Frau Procopan wissen. Eine große Frage sei hier die Entscheidung zwischen Monismus und Dualismus. Sind wir getrennt in Körper und Geist (Dual) oder nur ein einziges Stück Materie, das vollständig durch Wissenschaft nachvollzogen werden kann (Mono)? Die dualistische Theorie ist nicht durch Wissenschaft erklärbar, die monistische Theorie widerspricht dem freien Willen. Der Diskurs über genau diese Frage sei Hauptbestandteil des Romans.
Hier folgt nun ein erster Leseblock, in dem wir Balduin kennen lernen und das Experiment. Einer jungen Frau wird operativ der Sehstrang durchtrennt, dabei ist sie bei vollem Bewusstsein. Mich gruselt diese Vorstellung und doch ist sie sogar äußerst real. Die Idee für das Experiment stamme laut Stöcker aus einem wirklichen wissenschaftlichen Paper, wurde jedoch nie tatsächlich durchgeführt.
Nach der Leseeinheit spricht Herr Stöcker über die Entwicklung seiner Hauptfigur, die immer weiter in die Unsicherheit gerät. Besonders auch durch seine große Liebe, die vom Monismus überzeugt ist, während er selbst an den Dualismus glaubt. Frau Procopan erkundigt sich nach der Freiheit der Wissenschaft. Herr Stöcker antwortet, die Wissenschaft sei trotz allem trockenen Rationalismus sehr menschlich, daher finde man auch diverse Themen und Fragen. Dennoch stoßet man mit besonders offen gedachten und abstrakten Theorien schnell auf Ablehnung. Hier biete die Literatur Möglichkeiten, genau solche kontroversen Fragen und Ideen in die Welt zu setzen.
Es folgt anschließend noch ein zweiter Leseblock: Sara, Balduins Schwarm, wird in einen Hirnscanner geschoben. Durch ihre Hirnaktivitäten soll herausgefunden werden, ob auch sie in Balduin verliebt ist. Leider ist das Ergebnis nicht aussagekräftig. Sie können keine Hirnströme feststellen, die der Liebe zugeordnet werden könnten. Ein Kollege von Balduin, ebenfalls ein Monist, scherzt, man hätte stattdessen einfach ihre sexuelle Stimulation messen sollen. Das bringt Balduin ins Nachdenken. Kann Liebe wirklich auf körperliche Erregung reduziert werden? Dabei ist seine Liebe zu Sara eigentlich vollkommen frei von körperlicher Begierde.
Nach dieser zweiten Textlesung eröffnet Herr Stöcker die Diskussion. Das Publikum ist angehalten Fragen an ihn zu stellen. Besonders interessant ist eine Anmerkung von Sara Harrabi; Der Determinismus und damit auch der Monismus sei eigentlich unvorstellbar. Moral würde mit dem freien Willen sterben. Ein älterer Herr fügt noch hinzu, dass ein Mensch ohne freien Willen nichts als eine Maschine wäre. Weil einer Maschine keine Würde zukomme, müsse man also auch den ersten Artikel unseres Grundgesetzes ändern. Ein spannender Gedanke.
Noch lange nach dem Vortrag diskutiere ich mit Freunden über Bewusstsein und den freien Willen. Wie erwartet kommen wir zu keinem eindeutigen Ergebnis. Das Bewusstsein bleibt eben ein Welträtsel.